Mehr Gemeinwohl wagen! Hamburg auf dem Weg von Bau- zu Mietgemeinschaften?

Bei unser Arbeit für die Verbreitung gemeinschaftlicher Wohn- und Lebensmodelle behalten wir als zwgl-Beratungskollektiv „zusammen wohnen – gemeinschaftlich leben“ immer auch im Blick, was sich in diesen Bereichen in Forschung und Evaluation tut – aktuell in Hamburg: Etwas unter dem Radar der Öffentlichkeit wurden in den vergangenen Wochen zwei von der Bürgerschaft in Auftrag gegebene Studien zur Entwicklung des Wohnverhaltens und im Speziellen der Baugemeinschaften in Hamburg veröffentlicht.

Baugemeinschaften Hamburg

Die Studien kommen zum Ergebnis, dass es „angesichts der nach wie vor bestehenden großen und gegebenenfalls sogar noch wachsenden Herausforderungen für die Wohnungsversorgung (…) naheliegend [sei], der gruppenbezogenen Selbsthilfe (…) einen noch größeren Stellenwert einzuräumen“. Der Senat verspricht, dass „weitere niedrigschwellige Zugänge, z.B. über eine Vereinfachung der Interessensbekundungs- und Konzeptausschreibungsverfahren, ermöglicht (…) und das Segment (…) für neue Zielgruppen geöffnet werden [solle]. Neben dem in Hamburg etablierten Modell der Baugemeinschaft soll perspektivisch die Unterstützung sogenannter ‘Mietgemeinschaften’ geprüft werden. Bei diesem Modell liegen deutlich kürzere Zeiträume zwischen der Bildung einer Gruppe und dem Einzug, sodass vermehrt Haushalte angesprochen werden, denen die Gestaltung des Zusammenwohnens wichtig ist, die aber nicht gewillt oder in der Lage sind, dafür einen mit hohem Zeitaufwand und Kostenrisiken verbundenen Planungs- und Bauprozess in Kauf zu nehmen.“ Ulrike Kloiber, Senatskoordinatorin für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, empfiehlt weiterhin, dass „das Konzept für Baugemeinschaften in Hinblick auf die Gemeinwohlwirkungen, insbesondere auch auf den Quartierseffekt überprüft und weiterentwickelt werden“ sollte.

Motivationen und Herausforderungen Hamburger Baugemeinschaften

Knapp vier Jahre hat es nun gedauert, bis die Evaluation Hamburger Baugemeinschaftsprojekte fertig gestellt und veröffentlicht werden konnte. Die Studie zeigt, dass Baugemeinschaften in Hamburg insbesondere durch die angespannte Wohnungssituation angetrieben werden. Neben der Wohnraumversorgung spielt auch das Bedürfnis nach einer stärkeren nachbarschaftlichen Gemeinschaft eine wichtige Rolle. Vor allem für Familien stellen Baugemeinschaften eine Möglichkeit dar, Wohneigentum in der Stadt zu erwerben. Trotz bestehender Fördermaßnahmen sind die teilnehmenden Haushalte jedoch oft sozial relativ homogen. Hohe Baukosten und die damit verbundenen finanziellen Hürden erschweren es insbesondere Haushalten mit geringeren Einkommen, Teil einer Baugemeinschaft zu werden. Auch die Bereitschaft zur gemeinschaftlichen Selbstorganisation variiert je nach sozialem Milieu. Während genossenschaftliche Modelle eine gewisse Einkommensdifferenzierung vorgeben, bleiben andere soziale Faktoren, wie Bildungsstand oder Herkunft, weiterhin selektiv.

Gemeinwohlwirkungen und Quartierseffekt verbessern

Seit 1990 wurden in Hamburg 156 Baugemeinschaftsprojekte mit rund 3.600 Wohneinheiten realisiert – ein Erfolg, der zeigt, dass gemeinschaftliches Wohnen eine etablierte Ergänzung zum Wohnungsmarkt darstellt. Dennoch bleibt es bislang ein Nischenmodell und hat noch keinen großen Anteil am Wohnungsmarkt erreicht. Um eine breitere soziale Durchmischung zu ermöglichen, müssen neue Konzepte entwickelt werden. Dazu gehört auch die Überprüfung der Gemeinwohlwirkungen und des Quartierseffekts von Baugemeinschaften. Ein zentraler Aspekt ist die Nutzung von Gemeinschaftsräumen, die bislang überwiegend den jeweiligen Baugemeinschaften vorbehalten sind. Angesichts der zunehmenden Bedeutung öffentlicher Räume für den sozialen Zusammenhalt sollten geförderte Gemeinschaftsflächen auch für das umliegende Quartier geöffnet werden. Solche Räume könnten als Orte des Austauschs, der Inklusion und der sozialen Begegnung dienen.

23.000 Haushalte aktiv auf Wohnprojektsuche

Die Ergebnisse der ebenfalls vor kurzem abgeschlossenen „Studie zur Entwicklung des Wohnverhaltens“ zeigen zudem, dass in Hamburg ein breites Interesse am gemeinschaftlichen Wohnen vorherrscht: Rund 16% aller Befragten ziehen diese Wohnform dem individuellen Wohnen vor. Hochgerechnet entspricht dies etwa 160.000 Haushalten. Von diesen sind rund 72.000 marktaktive Haushalte, die sich für gemeinschaftliche Wohnformen interessieren, und etwa 23.000 Haushalte explizit auf der Suche nach einer Wohnung in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt. Die Nachfrage besteht über verschiedene Haushaltsgruppen hinweg, von mittelalten Mieterhaushalten über Familien, die zur Miete leben, bis hin zu älteren Miet- und Eigentumshaushalten.

Pläne des Hamburger Senats

Um das Segment des gemeinschaftlichen Wohnens weiter auszubauen, plant der Senat, bestehende Strategien zu prüfen und neue Maßnahmen zur Förderung gemeinschaftlicher Wohnformen zu entwickeln. Dazu gehört die Vereinfachung von Vergabeverfahren, um den Zugang für weitere Zielgruppen zu erleichtern. Zudem soll das Modell der „Mietgemeinschaften“ erprobt werden, das durch verkürzte Planungs- und Bauzeiten auch Haushalten offensteht, die eine gemeinschaftliche Wohnform suchen, ohne selbst Bauprojekte umsetzen zu müssen.

zwgl ‣ zusammen wohnen – gemeinschaftlich leben begrüßt die Pläne des Hamburger Senats explizit und empfiehlt die Einführung weiterer niedrigschwelliger Unterstützungsangebote für interessierte Kerngruppen. In unserer Praxis hat sich gezeigt, dass bei einseitiger Fokussierung auf die Herausforderungen von Bauprozessen schnell das soziale Fundament von Wohnprojektgruppen ins Wanken kommen kann. An dieser Stelle würden z.B. Beratungsangebote oder -gutscheine Abhilfe leisten, mit deren Hilfe Projektinitiativen Themen wie die gemeinschaftliche Visions- und Konzeptentwicklung, die Einführung nachhaltiger Kommunikationsformen und Entscheidungsmodelle sowie die Auswahl der passenden Organisations- und Rechtsform mit fachkundiger Unterstützung angehen können.

Wir begrüßen es auch ausdrücklich, dass in Zukunft Mietwohnprojekte stärker im Vordergrund stehen sollen. Hierzu könnte der Senat Austausch- und Fortbildungsprogramme für Angestellte in Wohnungsunternehmen fördern und best-practice-Ansätze für etablierte Unternehmen bereitstellen, damit diese einen einfacheren Zugang zu solchen, für sie oft noch unbekannten Wohnformen bekommen.

Links zu den genannten Quellen

Bleib auf dem Laufenden und melde dich für unseren Newsletter an!

Skip to content