Unter dem Titel „Wohnen in Gemeinschaft. Impulse und Alternativen für Schleswig-Holstein“ veranstalteten die Agrarsoziale Gesellschaft (ASG) und wir, das Beratungskollektiv zwgl ‣ zusammen wohnen – gemeinschaftlich leben, an drei Terminen im September und Oktober 2024 eine gemeinsame Online-Fortbildungsreihe für kommunale Vertreter:innen, Wohnungswirtschaft und Wohnprojekt-Interessierte.
In der Online-Reihe haben wir durch sehr unterschiedliche konkrete Beispiele Formen, Modelle und Potenziale gemeinschaftlichen Wohnens für ländliche Räume in Schleswig-Holstein genauer beleuchtet. Anhand von praxisnahen Vorträgen und interaktiven Formaten gingen wir u.a. der Frage nach, wie sich gemeinschaftliche Wohnprojekte bestmöglich realisieren lassen – von der ersten Idee bis zur erfolgreichen Umsetzung.
DANK: Wir danken der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG) für diese gelungene Kooperation und allen Vortragenden und Gästen für den spannenden Austausch!
Und hier das Veranstaltungsprogramm vom Herbst 2024 > ASG Online-Reihe 2024: Wohnen in Gemeinschaft
Mit unserem ersten Gast Heidruhn Buhse (Architektin und Wohnungsbaureferentin beim Land Schleswig-Holstein a. D.) blickten wir auf die letzten 40 Jahre der Umweltbewegung in Schleswig-Holstein und das Entstehen der ersten gemeinschaftlichen Bau- und Wohnprojekte im Bundesland.
Die Kieler Scholle, wo Buhse selbst lebt, ist eine der ersten Ökosiedlungen in Deutschland. Auf genossenschaftlichem Grund, der allen gehört, stehen in Erbpacht die einzelnen Häuser als Eigentum der Bewohnenden – eine Mischform der Rechtsformen, die sich so aus den damaligen Förderbedingungen ergeben hat. Durch die Generationenfolge kommen nun neue Eigentümer:innen hinzu. Die Frage, ob und wie Erben die Werte der Gründer:innen-Generation teilen, bot Anlass dazu, auch rechtlich neue Weichenstellungen zu veranlassen: Die Satzung der Genossenschaft wurde dahingehend geändert, dass die Mitgliedschaft nicht vererbt werden kann. Wenn also ein Haus vererbt wird und die Erb:innen auch selbst dort wohnen wollen, müssen sie sich als Erbpachtnehmende bei der Genossenschaft bewerben, also darum bitten von der Gemeinschaft der Mitglieder aufgenommen zu werden. Diese Satzungsänderung so einzuführen, war innerhalb der Bewohnerschaft kein einfacher Prozess, soll aber dazu beitragen, die Ursprungswerte zu erhalten.
Heidrun Buhse gibt diese Erfahrungen aus der Praxis ihres und anderer Projekte weiter. Sie setzt sich auch politisch für neue Weichenstellungen ein: Lange hat sie als Mitarbeiterin beim Land an Förderprogrammen mitgearbeitet, die Quartiersentwicklung und genossenschaftliche Wohnformen fördern. Heute ist sie im Ruhestand und hat ein Expert:innen-Netzwerk mit begründet, das ehrenamtlich Erstberatung anbietet.
Anreize sich nach der Erstberatung in konkrete Projektentwicklung zu begeben, bieten Förderprogramme des Landesinnenministeriums. Madleen Bergmann berichtete über das Programm „Neue Perspektive Wohnen“ und den „Wohnprojekte Gründungsfonds“. Auch eher städtische Quartiere können dabei als Orte gesehen werden, wo vielfältige Gemeinschaft durch die Förderung eines adäquaten Wohnformen-Mixes entsteht, der durch flächensparende, maßvoll verdichtete Gebäudetypen bezahlbares Wohnen ermöglicht und durch Mieter:innen-Gärten oder Quartierstreffs ergänzt wird. Von den Vertreter:innen ländlicher Kommunen wurde aber auch angemerkt, dass im Programm „Neue Perspektive Wohnen“ (mind. 30 Wohneinheiten) die geringeren Wohnausbauflächen in Dörfern nicht mitbedacht wurden und hier evtl. nachgesteuert werden sollte.
Auf lokaler Ebene wirkt das EU-Förderprogramm LEADER über die AktivRegionen in Schleswig-Holstein, obwohl das Wohnen hier derzeit noch eher selten Fördergegenstand ist. Ein gutes Beispiel zeigte Dr. Dieter Kuhn von der AgendaRegio GmbH mit dem Wohnprojekt Miteinander Wohnen in Nahe ca. 20 km von der Hamburger Stadtgrenze entfernt. Das genossenschaftliche Projekt besteht aus 22 altersgerechten, barrierefreien Wohnungen, von denen neun geförderter Wohnraum sind, also eine kostengünstige Mietobergrenze haben. Die Förderung über die AktivRegion Alsterland konnte für die Gemeinschaftsflächen verbunden mit einem Konzept für öffentliche Veranstaltungen gewährt werden. Förderbedingung: Das Projekt muss positive Auswirkungen für die Gemeinde Nahe und die lokale Gemeinschaft haben.
Zielgruppenspezifische Angebote des Wohnens im Alter werden von der KIWA gefördert, der Koordinierungsstelle für innovative Wohn- und Pflegeformen im Alter und für Menschen mit Assistenzbedarf. Bastian Bech, berichtete über Wohnpflegegemeinschaften als Form der Selbstbestimmung im Alter. Das Grundkonzept besteht aus vier bis zwölf Menschen, die zusammen wohnen – jede:r in der eigenen kleinen Wohnung. Zusätzlich gibt es eine gemeinschaftliche Küche bzw. Wohnzimmer. All dies wird von einer Trägerorganisation oder Immobilienbesitzer:innen vermietet. Die Bewohnenden beauftragen eine ambulante Dienstleistung für Pflege- und Betreuungsbedarf. Mietvertrag und Pflegevertrag sind demnach getrennt – was ein Vorteil sein kann, z.B. wenn man den Pflegedienst wechseln möchte. Der eigene Wohnraum ist frei gestaltbar und bietet Mitbestimmung im Alltag. Wohnpflegegemeinschaften sind eine Erfolgsgeschichte. Allein in Schleswig-Holstein gibt es bereits 140 davon.
Die Fragen bleibt – bei all der Expertise und Förderung: Sprechen wir hier nicht von einer Nische für einige wenige mit einem speziellen Interesse? Dass dem nicht so ist, sehen wir durch die Vielfalt der Wohnprojekte – einmal in ihrer Entstehung und dann wiederum in ihrer Bewohnerschaft.
Im kleinen Ort St. Michaelisdonn – ca. 1 Stunde von Hamburg entfernt im Kreis Dithmarschen – hat der Unternehmer Klaus Ludolf Ibs, der eigentlich in der Energiewirtschaft tätig ist, das genossenschaftliches Wohnprojekt „Grüne Insel“ mit 39 Wohneinheiten initiiert, weil ihm neue zukunftsträchtige Visionen für Nachbarschaft und Quartier wichtig sind. So hat das Projekt auch viele Menschen außerhalb von Schleswig-Holstein angezogen, auf deren innerer Landkarte Dithmarschen vorher nicht vorhanden war. Hier gilt das Motto: „Tosom sünd wi Tokunft“ – Zusammen sind wir Zukunft.
Das Analog 6.8 in Eutin in der Holsteinischen Schweiz bringt in den touristisch geprägten Ort ein gemeinschaftliches Wohnprojekt des Mietshäuser Syndikats – ein Modell mit speziellen rechtlichen und finanziellen Grundlagen, entstanden in der Linken-Szene im weit entfernten Freiburg (im Breisgau). Im Analog wird auf Selbstverwaltung der Bewohnenden und konsensorientierte Entscheidungsfindung gesetzt, um das ehemalige Hotel am Rande der Innenstadt für das gemeinwohlorientierte Wohnen umzunutzen.
Das Coliving-Projekt „moom“ im kleinen Glückstadt an der Elbe wiederum spricht die Zielgruppe der digitalen Nomaden, der Freiberufler oder der sinnsuchenden Großstädter an, die Orte für „workation“ suchen. Hier kann man auf begrenzte Zeit Gemeinschaft erleben. Man mietet ein Zimmer und anders als in einem Hostel oder Hotel bekommt man Anschluss, tiefe Gespräch und Zero-Waste-Bio-Vollverpflegung gleich mit dazu.
Die eigene Erfahrung unseres Beratungskollektivs zwgl ‣ zusammen wohnen – gemeinschaftlich leben ist: Gemeinschaft bildet man mit Kopf und Herz, mit der praktischen Arbeit und der achtsamen Kommunikation – dies war auch der Titel einer der Impulsvorträge, welche wir zur Online-Fortbildung beisteuerten. Wenn beide Ebenen zusammenkommen, ermöglicht das von Anfang an ein Gleichgewicht von individuellen Bedürfnissen und gemeinschaftlichen Zielen, was Konflikten vorbeugt. Darüber hinaus heißt dies, die Interessen der vorhandenen Bewohner:innen in Dörfern und Kleinstädten und die lokalen Strukturen (Vereine, Gemeinderat etc.) zu beachten. In kleinen Orten sind Wohnprojekte, die in der Stadt kaum auffallen, ein neues wirkungsvolles Element im lokalen Gemeinwesen. Auch hier gilt es Herzen zu begeistern und Köpfe mit Informationen zu füllen, d.h. in den Dialog mit den Nachbar:innen und Verantwortungsträger:innen zu gehen, um das gemeinschaftliches Wohnprojekt von Anfang an am neuen Heimatort auf festem Grund zu bauen.