Die Idee gemeinschaftlichen Wohnens ist eine wunderschöne! Doch auf dem Weg zur Realisierung gilt es viele Klippen zu umschiffen. Schätzungen gehen davon aus, dass 80-90% der Projekte vor der eigentlichen Nutzungsphase scheitern. Woran kann das liegen?
Unserer Erfahrung nach sollten Wohnprojektgründende in vier wesentlichen, aufeinander aufbauenden Bereichen gut aufgestellt sein, um erfolgreich in die Umsetzung gehen zu können:
Idealistische Ideen, die am Ende nur Wünsche und Phantasien einzelner Menschen bleiben. Oder, sollte es tatsächlich weiter gegangen sein, erwachsen plötzlich ungeahnte Konflikte, die Gefahr eines Burn-Outs droht…
Bevor ein Wohnprojekt startet, ist es essentiell ausreichend Zeit dafür aufzuwenden, sich über sich selbst bewusst zu werden: Welche Einstellungen und Werte sind mir wichtig? Welche Bedürfnisse und Motivationen treiben mich an? Welche Vorstellungen ängstigen mich? Wie ist mein Verhältnis zu Geld, wenn es darum geht, gemeinsam in ein Projekt zu investieren? Es bedarf hier keiner Psychotherapie, aber doch einer gewissen, fortwährenden Arbeit daran, sich selbst besser kennenzulernen, Gewohnheiten, Gefühle und selbstlimitierende Gedanken zu hinterfragen und zu verändern.
Sozialisation und Evolution haben uns auf das Zurechtkommen mit dieser Welt vorbereitet, aber wir haben dabei auch einige Hindernisse mit auf den Weg bekommen, die dem Aufbau von etwas Neuem entgegenstehen können. Manche dieser Erfahrungen haben wir gemeinsam miteinander, andere fallen persönlich unterschiedlich aus. Mut und Vertrauen zu finden, solche auch im Dialog mit Gruppenmitgliedern zu teilen, ist ein erster Meilenstein im Übergang zum nächstem Bereich: der Gemeinschaftsbildung.
Im Zusammensein geht es immer nur um Arbeiten und Entscheidungen. Rückmeldungen werden als verletzend aufgefasst. Immer häufiger zeigen sich essentielle Risse zwischen den Individuen. Und beim Finden einer Immobilie stellt sich plötzlich heraus, dass ein Großteil der Gruppe ganz andere Vorstellung hat. Das Projekt zerfällt…
Dass Gemeinschaft auf dem Projektweg ohne besonderes Zutun ganz von selbst entsteht, ist eine häufige Fehlannahme von Gruppenwohnprojekten. Doch bevor es an Vertrauen und Verständnis füreinander mangelt und Zwischenmenschliches auf der Strecke bleibt, sollte dem entgegengewirkt werden. Hierfür empfiehlt sich das frühzeitige Einüben wertschätzender, gewaltfreier Kommunikation, so dass sie zur grundlegenden Kultur eines gemeinschaftlichen Wohnprojekts wird. Die Gruppenmitglieder sollten lernen (wollen), ihre typischen Interaktionsmuster und die Rollen, die sie in einer Gruppe spielen (können), zu erkennen und zu verändern. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien und darin begründeten Machtunterschieden innerhalb des Teams ist dabei ein wesentlicher Aspekt. Haben alle Gruppenmitglieder diese Punkte verinnerlicht, dann ist der Weg bereitet für das Legen eines Projektmeilensteins: den Schritt, von vielen individuellen Träumen zu einer gemeinschaftlicher Vision und Intention zu gelangen – und dies anschließend angemessen zu feiern!
Ewige Plenen, auf denen herum geeiert wird und Entscheidungen durch diejenigen mit dem längsten Atem erst zu später Stunde. Ungleich verteiltes Wissen über Projektzustände und -vorgänge oder Verweise auf Entscheidungen, die früher einmal getroffen wurden, aber nicht zugänglich sind. Oder sogar eine zu Beginn gewählte Rechtsform stellt sich später als unpassend heraus und führt nachträglich zur Zahlung einer erneuten, deutlich höheren Grunderwerbssteuer…
Aus unserem Berufsleben sind wir die Abgründe menschlicher Zusammenarbeit leider zu oft gewöhnt. Durch unreflektierte Herangehensweisen reproduzieren sich undemokratische und unproduktive Organisationsstrukturen leider auch schnell in Wohnprojekten und können Menschen davon abschrecken. Auf dem Weg zur angestrebten Selbstorganisation sollte sich ein Projekt deshalb von Prinzipien der Soziokratie und des agilen Projektmanagements leiten lassen. Diese unterstützen die Gemeinschaft beim Erleben ihrer Selbstwirksamkeit. Das Engagement zur Zielerreichung kann so langfristig auf hohem Niveau verbleiben. Genauso wichtig ist es, bei gemeinsamen Entscheidungen schwere Bedenken der Beteiligten zu berücksichtigen und passend in die Lösungsfindung zu integrieren. Hierin geübt zu sein ist sehr wichtig, denn während einer Bau- oder Sanierungszeit müssen oft in kurzer Zeit viele Entschlüsse gefasst werden.
Besonders die letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass Projekt- und Wissensmanagement-Tools die Zusammenarbeit am und im Wohnprojekt erleichtern und Konfliktpotenziale reduzieren können. Hier gilt es, rechtzeitig alle Gruppenmitglieder möglichst niedrigschwellig zu befähigen, diese Werkzeuge zu verstehen und anzuwenden. Die Wahl der passenden Rechtsform ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Realisierung, wenn sich die Gruppe darüber einig, welche Eigentums- und Besitzverhältnisse sie für ihr Projekt anstrebt.
Eine Stadt lässt sich im Konzeptvergabeverfahren nicht von der Idee einer Projektinitiative überzeugen. Eine Baugemeinschaft sieht keine Lösungen dafür, eine drohende Unterfinanzierung abzuwenden. Ein Baufeld ist gekennzeichnet von Schmierereien und Vandalismus. Überraschenderweise will kein Wohngruppenmitglied so wirklich den Gemeinschaftsraum im Keller nutzen…
Prinzipiell ist es sicher von Vorteil, wenn eine Wohnprojektinitiative von ihren Kompetenzen her möglichst breit aufgestellt ist. Cluster-Wohnungen und Car-Sharing, Wärmepumpen und Photovoltaik, Coworking-Spaces und Inklusionsbetriebe, Solidarische Landwirtschaft und Permakultur, Fundraising und Förderanträge – man kann und muss nicht alles rund um den Aufbau eines gemeinschaftlichen Wohnprojekts wissen. Und nicht jede Aufgabe muss selbst erledigt werden. Gerade in Bereichen wie der Finanzierung, der Planung und dem Bau zahlt sich der Rückgriff auf Fachleute oft langfristig aus. Umfassende Rechts- und Steuerberatung ist in Deutschland zudem nur dafür legitimierten Personen erlaubt.
Dennoch lässt sich auch ohne großes Fachwissen einiges rasch erlernen. Im Sinne des Commons-Gedanken sind viele Lösungen frei verfüg- und leicht auf das eigene Projekt anwendbar. Das bringt nachhaltige Vorteile mit sich: Durch die selbständige Einarbeitung in Themenbereiche und die Übernahme von Aufgaben können sich die Mitglieder das Projekt vertieft aneignen, ihr Wissen weitergeben und alle selbst ermächtigen.
Bei der ganzen Fokussierung auf sich selbst und das eigene Projekt darf die Gemeinschaft aber nicht vergessen, dass es noch eine sie umgebende Welt gibt. Auch die Bedürfnisse der in der Nachbarschaft lebenden Menschen und der Entscheider in Behörden und Ämtern sollten ernst genommen werden, damit das Wohnprojekt erfolgreich umgesetzt werden und eine positive Strahlkraft entfalten kann.
Wenn es darauf ankommt, kann ein Projekt schnell komplex werden und die Gruppe vor Problemen stehen, auf die sie nicht vorbereitet ist. Je weniger die oben genannten Bereiche abgedeckt sind, umso größere, finanzielle Auswirkungen können Fehlentscheidungen dann haben. Es empfiehlt sich deshalb, ein Wohnprojekt vorab gut zu planen.