Vision: Gemeinschaftlich leben

Gemeinschaftliche Wohn- und Lebensformen stellen für immer mehr Menschen erstrebenswerte Arten des Zusammenlebens dar. Dabei zeigt sich das Spektrum solcher Wohnprojekte enorm vielfältig: Da gibt es Wohngruppen, die Investoren davon überzeugen konnten, ihnen eine Immobilie als Hausgemeinschaft zu vermieten. Oder Privatleute setzen als Baugruppe ein Vorhaben um und teilen sich Gemeinschaftsräume. Wohnbaugenossenschaften realisieren für ihre Mitglieder schon seit über 130 Jahren immer wieder neue Projekte. Und in Kommunen und Ökodörfern finden Menschen sogar manchmal in einer gemeinsamen Ökonomie zueinander.

Cohousing – wie diese Formen des Zusammenlebens auch genannt werden – ist aber gar nichts grundlegend Neues. Im Gegenteil, wir Menschen bringen beste Voraussetzungen dafür mit, in kollektiven Formen zusammenzuleben, und können daraus viele Vorteile ziehen. Waren räumliche und familiäre Nähe lange Zeit die ausschlaggebenden Faktoren für vertrautere Verbindungen, finden Menschen in Wohnprojekten auch darüber hinaus bewusst zueinander, verbunden durch eine gemeinsame Vision. Je weiter sich ein Gruppenwohnprojekt vom Ausgangspunkt „zusammen wohnen“ hin zu einem gemeinschaftlichen Lebensstil wagt, desto mehr Chancen bietet dies den darin lebenden Personen.

Fragt man Menschen, die in gemeinschaftlichen Wohnformen leben, welche Vorteile ihnen ihr Wohnprojekt bietet, fallen schnell Begriffe wie Glück, Freude, Zufriedenheit. Das Leben mit mehr gegenseitigem Austausch wird als sinnerfüllter und gesünder wahrgenommen. Viele wissenschaftliche Studien bestätigen diese Zusammenhänge. Aber welche Faktoren tragen für die Einzelperson dazu bei?

Philetairus socius - ein Gemeinschaftssiedler
Diego Delso, delso.photo, License CC-BY-SA

Sicherheit in unsicheren Zeiten

Gerade in krisenhaften Zeiten wie diesen sollte man nicht unterschätzen, welch große Bedeutung der Erfüllung unserer grundlegenden Bedürfnisse zukommt. Mit den über die letzten Jahre dramatisch gestiegenen Lebenshaltungskosten müssen viele Menschen einen großen Anteil ihres Einkommens für Miete ausgeben. Menschen in Wohnprojekten dürfen sich da glücklich schätzen! Sie können sich auf stabile Wohnkosten verlassen, denn ihr Wohnraum unterliegt keiner Profitmaximierung. Auch die Sorge wegen Eigenbedarf vor die Tür gesetzt zu werden, ist ihnen fremd.

Gemeinschaftliches Wohnen zeichnet sich meist durch niedrige Kaltmieten aus, umgesetzt z.B. mittels Wohnraumförderung. Im laufenden Betrieb fallen auch die Kosten für Heizung und Warmwasser sowie Trinkwasser und Strom durchschnittlich niedriger aus. Die Gründe hierfür liegen in der Regel in den hohen Energiestandards der Wohneinheiten und einem ressourcenschonenden Umgang im Alltag. Teilweise senken zudem Eigenarbeiten der Bewohnenden die Ausgaben für den Gebäudeunterhalt. In Projekten mit Fuhrpark, gemeinsamem Einkauf oder eigener Landwirtschaft liegt noch mehr Potential dafür, das Leben weniger finanziell belastet genießen zu können.

Der schönste Raum im Haus sollte der Gemeinschaftsraum sein

Pro Person können die Mietausgaben in Wohnprojekten hauptsächlich deshalb niedriger sein, weil viel Fläche geteilt wird: Gemeinschaftsküchen, Mehrzweck- und Kinderspielräume, Bibliotheken, Waschsalons, Werkstätten, Co-Working-Spaces und Gästewohnungen – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt! Die Bewohnenden nutzen oft viele Gegenstände gemeinsam, die vor dem Einzug vielleicht noch mehrfach in Eigenbesitz vorhanden waren. Somit kann der Bedarf an persönlichem Wohnraum sinken, der anderenfalls vielleicht nur zu einem Lager verkommen wäre. Eine erweiterte Form der Wohnsicherheit gibt es in größeren Wohnprojekten, wenn sich in Haushalten die Lebensumstände ändern. Ist eine Verkleinerung oder Vergrößerung der Privaträume notwendig, sind hierfür architektonische Lösungen oft schon mit eingeplant. Oder Wohnraum lässt sich relativ schnell untereinander tauschen. So bieten sich den Bewohnenden vielfältige Möglichkeiten weiter in ihrem vertrauten Umfeld bleiben zu können.

Zugehörigkeit und Verbundenheit

Ein gemeinschaftliches Wohnprojekt ist besonders am Anfang oft stark vom Wunsch beseelt, mit Freunden, guten Bekannten und Familie zusammenleben zu können. Aber darüber hinaus wachsen hierin rasch auch vielfältige und inspirierende neue Verbindungen, die man wahrscheinlich nicht erwartet und sonst nicht gemacht hätte. Gegenseitige Unterstützung bei Alltagsaufgaben und bei kurzzeitiger Krankheit sind oft die Regel. Und das oft nicht nur innerhalb des eigenen Hauses: Wohnprojekte können auf ihr Umfeld ausstrahlen und Caring Communities, füreinander sorgende Nachbarschaften, wachsen lassen. Man teilt nicht nur Gegenstände sondern auch Verantwortung füreinander und zeigt sich solidarisch mit weniger Privilegierten.

Verantwortung dafür, das eigene Leben und die gesellschaftliche Zukunft aktiv mitzugestalten, ist ein großer Motivator für die Neugründung von Wohngemeinschaften. Alle beteiligten Menschen dürfen ihre Bedürfnisse und Ideen in den Prozess einbringen, wie der private und gemeinsame Wohnraum sowie das Zusammenleben aussehen sollen. Direkt demokratisch wird darüber mitbestimmt, wie das Nahumfeld entsteht und sich entwickeln soll. In gemeinschaftlichen Wohnformen können Menschen so Teilhabe erfahren und dürfen sich berechtigte Hoffnungen darauf machen, viele Jahre lang ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Wohnprojekte können Wege weisen

Mehr Zeit zur Selbstverwirklichung

Besonders wenn ein Wohnprojekt erfolgreich in der Nutzungsphase angekommen ist, sich vieles eingespielt hat und die Selbstverwaltung einfacher abläuft, können die Früchte der Arbeit geerntet werden. Nun bleibt mehr freie Zeit für lebendiges Miteinander und gemeinsame Aktivitäten. Die Bewohnenden finden neue Anregungen und entfalten ihr kreatives Potenzial.

Gerade der Austausch im Mehrgenerationenwohnen fördert die Weiterentwicklung von Persönlichkeit und Fähigkeiten. Gegenseitiges, lebenslanges Lernen hält geistig jung und wach, denn gemeinschaftliches Leben erfordert fortwährenden Austausch mit- und Verständnis füreinander. Im besten Fall überdauert ein Wohnprojekt seine Gründungsgeneration und strahlt als Orientierung gebender Leuchtturm in der Zukunft weiter, auch wenn man selbst es einmal verlassen muss.